Einleitung
“Ein Schulmeister hat lieber zehn notorische Esel als ein Genie in seiner Klasse, und genau betrachtet hat er ja recht, denn seine Aufgabe ist es nicht, extravagante Geister heranzubilden, sondern gute Lateiner, Rechner und Biedermänner. Wer aber mehr und Schwereres vom anderen leidet, der Lehrer vom Knaben oder umgekehrt, wer von beiden mehr Tyrann, mehr Quälgeist ist, und wer von beiden es ist, der dem anderen Teile seiner Seele und seines Lebens verdirbt und schändet, das kann man nicht untersuchen, ohne bitter zu werden.”1
Wenn man nun den Begriff des Genies / des Genius mit dem eines Menschen mit höchster schöpferischer Begabung gleichsetzt oder doch zumindest mit schöpferischer Kraft eines schöpferischen Geistes 2; Und nun abermals das (Macht-)Verhältnis des Schulmeisters zu dem (in diesem Fall) Knaben vor Augen hält; Wenn man sich nun abermals dieses Machtgefälle mit dem unserer Gesellschaft zu den Schwächsten in ihr, den Kindern und Jugendlichen gleichsetzt, so muß man sich nach Ansatzpunkten und Aufgaben der Sozialen Arbeit fragen. Denn hier handelt es sich offensichtlich um Machtstrukturen, auf hierarchische Anordnungen von Menschen und Bevormundung anderer und auf deren Anordnung von Regeln und Ideen, welche die Entwicklung und die Selbstverwirklichung eines jeden Einzelnen unter Umständen einschränken können.3
Diese Punkte möchte ich in dieser Arbeit versuchen, genauer zu erkunden.4 Gleichzeitig möchte ich Wege aufzeigen, wie man aus dieser Sackgasse herausfinden könnte.
Weniger prosaisch ausgedrückt bedeutet dies, daß ich zunächst versuchen werde, zu ergründen, was einen Menschen / ein Individuum eigentlich “ausmacht”. Dabei möchte ich mich zunächst unter anderem auf Schilling und Rogers beziehen, welche meiner Meinung nach ziemlich plausibel verdeutlichen, wie man einen Menschen anthropologisch-pädagogisch, humanistisch-psychologisch als auch philosophisch verstehen kann. Gleichzeitig möchte ich hier Fragen aufwerfen, welche sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit fast selbständig und argumentativ beantworten lassen.
Da Mensch nicht gleich Mensch ist, der zudem eingebettet ist in ein System aus Ansprüchen, Anforderungen und Verunmöglichtem, gleichzeitig aber auch Möglichkeiten und Alternativen zum Handeln besitzt, gehe ich im folgenden Kapitel aus der Sicht diverser Modelle und Theorien näher darauf ein. Hierbei spielen Subjekt- und Lebensweltorientierung ein wichtige Rolle.
Anschließend möchte ich daraus folgernd meine Ansicht über den Umgang mit Menschen – bezugnehmend auf Rogers und Holzkamp – verdeutlichen, welcher auch und gerade für Tätige in der Sozialen Arbeit von Bedeutung sein sollte. Da es in dieser Arbeit um Kinder und Jugendliche geht, welche “natürlich auch Menschen sind”, werde ich dann auf die Definition dieser Zielgruppe eingehen.
Dieses gesamte erste Kapitel bildet also die Grundlage meiner Arbeit, da Essenzen, Fragen und Argumente aus ihm im weiteren Verlauf immer wiederkehren werden.
Im nächsten Abschnitt werde ich kurz aufzeichnen, was es bedeutet, als “Minderjähriger” in Deutschland aufzuwachsen. Speziell dann am Beispiel des Wohnumfeldes von Kindern und Jugendlichen, welches für die Entwicklung / die Sozialisation selbiger von außerordentlicher Bedeutung ist. Gleichzeitig treten an diesem Beispiel die konkreten Verhältnisse unserer Gesellschaft, also die Erwachsenenkultur gegenüber der Heranwachsendenkultur zu tage.
Ganz automatisch kommt man so auf die Begriffe Kinderpolitik und Kinderfreundlichkeit, welche ich in den folgenden Kapiteln veranschaulichen werde. Da diesen Begriffen, Aspekte wie Kinderrechte und Partizipation innewohnen, geht es anschließend darum, gesetzliche Möglichkeiten zur Umsetzung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen aufzuzeigen.
Von vorrangiger Bedeutung, auch aufgrund der vorangegangenen Kapitel, ist es dann, sich dem Begriff der Partizipation weiter zu nähern. Was Partizipation alles meint, welche Grundüberlegungen wichtig sind und welche Formen und Arten der Partizipation von Kindern und Jugendlichen es bereits gibt und wie diese bestmöglich umgesetzt werden können, werde ich im fünften Kapitel bearbeiten. Da mit Partizipation von Kindern und Jugendlichen auch Begriffe wie (Mit-) Verantwortung und gesellschaftliche Demokratisierung einhergehen, werde ich diese beiden Aspekte hier ebenfalls bearbeiten und dabei gleichzeitig die in Kapitel 1 gestellten Fragen beantworten.
Wie sich diese Problematik als Aufgabenstellung im Kontext der Sozialen Arbeit eingliedern läßt, soll dann im nächsten Kapitel behandelt werden, worin auch eine Einrichtung der Sozialen Arbeit vorgestellt, die sich der Methode der Beteiligungsspirale nach Waldemar Stange bedient, um die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und somit die Kinderfreundlichkeit in der Stadt Hannover “voranzubringen”.
Diese Methode näher zu beschreiben und warum sie von vielen Autoren, die sich mit der Thematik der Partizipation von Kindern und Jugendlichen beschäftigen, als die geeignetste empfunden wird, ist das siebte Kapitel gewidmet.
Gleichzeitig soll sich hier der Kreis zum ersten Kapitel schließen.
Zum Schluß werde ich die noch offen gebliebenen und schon aus dem Titel dieser Arbeit hervorgegangenen erkenntnisleitenden Fragen reflektierend beantworten und somit zu einem abschließenden persönlichen Resümee kommen.
Und noch zwei Anmerkungen vorweg:”Bei allem Willen zur politischen Korrektheit und zu einer Sprache, die den weiblichen Teil der Welt nicht verschwinden läßt, brachte ich es doch nicht übers Herz, durchgängig die … Groß-I- und Schrägstrichformen zu verwenden. Die Leser finden im Text abwechselnd einmal männliche, dann wieder weibliche Formen (oder aber auch die soeben angesprochenen). Leserinnen oder Leser des jeweils anderen Geschlechts können sich als mitgemeint betrachten oder auch nicht – ganz wie behagt. Wo das Geschlecht eindeutig sein sollte, ist es das hoffentlich auch.”5
Auch möchte ich mich hier, Pantuceks Meinung anschließen, was die Begriffe “Sozialarbeit” und “Sozialpädagogik” betrifft. In meiner Arbeit möchte ich deshalb den Begriff der “Sozialen Arbeit” verwenden, nämlich sowohl als pädagogische Arbeit mit Kindern, die aber auch die Arbeit mit Erwachsenen einschließen kann und sollte, als auch die Bearbeitung sozialer Probleme und Schieflagen, die sowohl individuell als auch gemeinschaftlich zu verstehen sind.