Partizipation von Kindern und Jugendlichen
Der Begriff der Partizipation „meint als Sammelbegriff sehr verschiedene Arten und Formen der Beteiligung …, Teilhabe, Teilnahme, Mitwirkung und Mitbestimmung, wobei auch Funktion, Umfang und Begründung der Partizipation sehr unterschiedlich sein können. Partizipation wird … in Zusammenhang gebracht mit Prozessen der Demokratisierung … und Emanzipation ….“1
Dabei ist der Gedanke der Partizipation nicht neu.
Denn bereits in den zwanziger Jahren ließ sich dieser Begriff in einigen reformpädagogischen Ansätzen finden. „Politisch war diese Pädagogik eingebettet in die Zukunftsvision, daß eine künftige sozialistische Gesellschaft nur von Menschen gestaltet werden kann, für die Demokratie und Gleichheit in allen Bereichen der Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein würde und die bereit und fähig sind, politische Verantwortung zu übernehmen.“2
Daß jene Gedanken zur Zeit des Dritten Reiches keine öffentliche Bedeutung mehr besaßen, braucht an dieser Stelle wohl nicht mehr weiter ausgeführt zu werden.
Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 entwickelten sich – wenn auch zunächst nur für Erwachsene – verschiedene Partizipationsformen wie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, welche auch im Grundgesetz (GG, Artikel 8 & 9) verankert sind.
Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre entstanden dann neue basisdemokratische Bewegungen und Konzepte, die erstmals auch den Kinder- und Jugendbereich mit einschlossen. „Ziel war es dabei, autoritäre Strukturen der Erziehung aufzubrechen und Kindern in ihren eigenen Lebensbereichen mehr Selbstbestimmungsmöglichkeiten einzuräumen. Während in der Erziehung eines autoritären Stils der Erwachsene als Erzieher bestimmte, was für Kinder richtig ist, und Kindern weitgehend keine eigenen Wünsche und Wertvorstellungen zugesprochen wurden, ließ die „antiautoritäre Erziehung“ alle Zügel fahren, sie wird heute eher als Schreckensbild einer Erziehung ohne Orientierung gesehen. … (Doch) war sie … der erste Versuch auf breiterer Ebene, das Machtgefälle zwischen Kindern und Erwachsenen abzubauen und Kinder als Subjekte ihrer eigenen Entwicklung ernst zu nehmen.“3
Dieser damals begründete partnerschaftliche Umgang4 zwischen Kindern und Erwachsenen findet sich noch heute in Familien und Institutionen wieder.
In den siebziger und achtziger Jahren schließlich, initiiert unter anderem durch die Erarbeitung der UN-Kinderrechtskonvention und des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, kam es dann zur Entwicklung eines Beauftragtenwesens, welches es ermöglichen sollte, benachteiligten Gesellschaftsgruppen – in diesem Fall den Kindern und Jugendlichen – ein stärkeres Beteiligungsrecht einzuräumen oder aber doch zumindest verstärkt in die öffentliche gesellschaftliche Diskussion zu bringen.5
„So wurden im Jahre 1987 erstmals Kinderbeauftragte von den Fraktionen des deutschen Bundestages eingesetzt. Im folgenden Jahr entstand die Kinderkommission des Bundestages, 1989 ernannte als erstes Bundesland Nordrhein-Westfalen einen Kinderbeauftragten der Landesregierung.“6
Das Kinder in der heutigen Zeit und in der hiesigen Gesellschaft kompetent genug sind, sich (mit Unterstützung von Erwachsenen) mit politischen, planerischen und zukunftsorientierten Themen auseinanderzusetzen, verdeutlichen Sachverhalte wie umweltrelevante und kommunalpolitische Themen, die bereits im Kindergarten- bzw. Grundschulalter von den Kindern bearbeitet werden können.
„In der Schule wird heute schon früh ein Problembewußtsein für die räumliche und soziale Umwelt geschaffen. … Schon früh können Kinder in speziellen Kindersendungen … oder auch in den „Nachrichten für Erwachsene“ von den Ereignissen in ihrer Stadt und in der Welt erfahren.“7 Hinzugekommen ist das neue Medium des Internets, das bereits Kinder im Grundschulalter für sich nutzen. – Die Informiertheit (einmal ganz abgesehen von dem Bedürfnis, beteiligt zu werden) ist also gegeben.
„Ist es daher nicht geradezu widersinnig, Kindern und Jugendlichen die Beteiligung an Lebensbereichen zu verweigern, die sie aus ihrer persönlichen Erfahrung und dem Erleben heraus so gut wie kaum ein anderer kennen?“8
In der Stellungnahme der Bundesregierung zur Vorlage des Elften Kinder- und Jugendberichts heißt es deshalb auch, daß „Kinder und Jugendliche … daran interessiert (sind), sich für die ihnen wichtigen Belange einzusetzen und an Entscheidungen, die ihr gegenwärtiges oder zukünftiges Leben betreffen, beteiligt zu sein. Die fehlende Bereitschaft, sich in hergebrachten Formen zu engagieren, steht dazu nicht im Widerspruch. Vielmehr macht diese Dualität deutlich, daß es die Aufgabe der politisch Verantwortlichen auf allen Ebenen ist, Kinder und Jugendliche aktiv in Diskussions- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Zutreffend ist vor diesem Hintergrund die Analyse der Kommission, daß junge Menschen sehr genau registrieren, ob Beteiligungsmöglichkeiten „ernst gemeint“ sind, ob ihnen tatsächliche Gestaltungsmöglichkeiten in wesentlichen Fragen eingeräumt werden. Auch geht es um die Frage, ob ihnen zur Beteiligung Formen angeboten werden, die ihren Interessen – auch hinsichtlich der Gemeinschaftserlebnisse – gerecht werden bzw. ob Formen akzeptiert werden, die Jugendliche selbst entwickelt haben, und ob partnerschaftlich mit ihnen kooperiert wird. Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, daß jungen Menschen Partizipationsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, die ihren Bedürfnissen, ihren Kenntnissen und Fähigkeiten und ihrem Beteiligungswillen gerecht werden. Beteiligung muss dabei als ein kontinuierlicher, unumkehrbarer Prozeß angelegt sein und … die jungen Menschen als Subjekt der Beteiligung und als „Expertinnen und Experten in eigener Sache“ in den Mittelpunkt stellen.“9
Allerdings muß man sich dabei auch der Tatsache bewußt sein, daß – ähnlich wie Erwachsene – sich nicht generell alle Kinder und Jugendlichen beteiligen möchten. Deshalb muß es das primäre Ziel kinderpolitischen Handelns sein, interessierten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeiten zur Partizipation überhaupt erst zu eröffnen und dann anzubieten.
Und:
„Partizipation bedeutet nicht, „Kinder an die Macht“ zu lassen,
oder „Kindern das Kommando zu geben“.
Partizipation heißt, Entscheidungen, die das
eigene Leben und das Leben der Gemeinschaft betreffen, zu
teilen und gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden. Kinder
sind dabei nicht kreativer, demokratischer oder offener als
Erwachsene, sie sind nur anders und bringen aus diesem Grunde
andere, neue Aspekte und Perspektiven in die
Entscheidungsprozesse hinein. …
Kinderbeteiligung bedeutet (deshalb) immer,
daß Kinder nicht alleine, sondern mit Erwachsenen ein Problem
bearbeiten oder ein Projekt gestalten. Eine ernsthafte
Partizipation muß sich ihrer Bedeutung als Beziehungsarbeit
und Beitrag zur Persönlichkeitsbildung (nicht nur für Kinder)
bewußt sein.“10
Dies könnte zugleich die Möglichkeit eröffnen, daß Erwachsene, wie etwa auch Politiker und Planer, ihre erwachsenen demokratischen Beteiligungsformen an sich in den Blickpunkt rücken und diese eventuell überdenken. Vielleicht könnten sie sogar von den Kindern und Jugendlichen lernen, welche Formen und Methoden der Beteiligung sich am bürgerfreundlichsten und geeignetsten darstellen.
Anders herum ist dies nicht möglich, denn es haben sich jene Formen, zumindest was Kinder und Jugendliche betrifft, nicht bewährt und werden, wie oben bereits angesprochen, teilweise auch abgelehnt.
Partizipation: Viele reden davon, alle meinen etwas anderes
Während ich die Notwendigkeit zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen in den vorangegangenen Kapiteln hergeleitet habe, folgt nun eine Auseinandersetzung mit der in Kapitel 5 aufgestellten Definition.
Denn: Partizipation ist nicht gleich Partizipation.
„Nicht überall, wo Kinder und Erwachsene gemeinsam auftreten, kann von kindgerechter Beteiligung geredet werden. “11
Schröder stellt deshalb ein Modell (Graphik) zusammen, welches veranschaulichen soll, daß der Begriff Beteiligung von Kindern und Jugendlichen von reiner Fremdbestimmung bis hin zur Selbstbestimmung reichen kann.
Graphik12
Die einzelnen Stufen der Beteiligung können wie folgt zusammengefaßt werden:13
1. Fremdbestimmung:
Wenn Kinder dazu angehalten werden, Dinge zu tun, die sie entweder gar nicht verstehen (können) oder aber weil die Erwachsenen es ja nur zu ihrem Besten wollen, kann man sowohl von Unterdrückung als auch von Manipulation reden (Stichwort: Kinder als Plakatträger auf Demonstrationen irgendwelcher Interessengruppen – und sei es für die Kinder selber). Bei dieser Stufe werden die Kinder weder über die Intentionen jener Aktion in Kenntnis gesetzt, noch verstehen sie die Aktion an sich. Inhalte, Arbeitsformen, Ergebnisse und Ziele sind fremddefiniert und die Kinder werden lediglich zum Zwecke der Aufmerksamkeit vorgeschickt.
2. Dekoration:
Bei dieser „Beteiligung“ handelt es sich um die Form, wie man es von manchen Veranstaltungen her kennt. Kinder führen eine („ach so süße“) Tanzeinlage auf, ohne zu wissen, worum es bei jener Veranstaltung eigentlich geht.
3. Alibi-Teilnahme:
Kinder nehmen nur scheinbar stimmberechtigt an z. B. Sitzungen, Konferenzen aber auch Kinderparlamenten teil – dies allerdings freiwillig.
4. Teilhabe:
Bei dieser Stufe würden Kinder über die bloße Teilnahme hinaus ein gewisses sporadisches Engagement der Beteiligung zeigen (können oder dürfen).
5. Zugewiesen, aber informiert:
Zwar wird in dieser Form ein Projekt von Erwachsenen (z. B. in Schulprojektwochen) vorbereitet, allerdings sind die Kinder vorher gut informiert worden, wissen und verstehen also, worum es gehen soll und wissen, was sie selber bewirken können und dürfen.
6. Mitwirkung:
Durch Fragebögen oder Interviews dürfen bzw. können die Kinder eigene Vorstellungen, Wünsche oder Kritik äußern. Allerdings stehen sie bei der konkreten Planung und Umsetzung des darauf eventuell folgenden Projektes außen vor.
7. Mitbestimmung:
Hier kann man meinem bisherigen Argumentationsstrang zufolge das erste Mal von wirklicher Beteiligung sprechen. Es geht „um ein Beteiligungsrecht, das Kinder tatsächlich in Entscheidungen einbezieht und ihnen das Gefühl des Dazugehörens und der Mitverantwortung begründet vermittelt. Auch hier kommt die Idee des Projektes von Erwachsenen, alle Entscheidungen werden aber gemeinsam und demokratisch mit den Kindern getroffen.“14 Auf diese Stufe der Beteiligung werde ich mich beziehen, wenn ich im weiteren Verlauf von Partizipation bzw. Beteiligung spreche.15
8. Selbstbestimmung:
Anders als bei der Form der Mitbestimmung, wird das Projekt von den Kindern und Jugendlichen selbst initiiert. Die Erwachsenen stehen aber unterstützend und fördernd zur Seite. Die Entscheidungen werden von den Kindern und Jugendlichen selbst getroffen, wobei die Erwachsenen eventuell beteiligt werden, die Entscheidungen aber immer mittragen.
9. Selbstverwaltung:
Gemeint ist die selbstorganisierte Arbeit von z. B. Jugendgruppen, die ihre Entscheidungen den Erwachsenen lediglich mitteilen. Dabei hat die selbstorganisierte Gruppe völlige Entscheidungsfreiheit, was ihre Angelegenheiten anbetrifft.
Die Autoren des Elften Kinder- und Jugendberichts kommen zu dem Schluß, daß „Kinder und Jugendliche … sich politisch beteiligen (wollen), auch wenn ihre zunehmende Distanz zum politischen System immer wieder festgestellt worden ist. Sie erwarten nämlich, daß ihre Interessen und Bedürfnisse nicht nur in Verbindung mit der Abwehr von Legitimationskrisen des politischen und gesellschaftlichen Systems wahrgenommen werden und reagieren mit Frustration und Rückzug, wenn sie durch Erwachsene instrumentalisiert werden oder ihre Mitwirkung folgenlos bleibt. Sie erheben zurecht einen Anspruch darauf, daß ihre Formen gesellschaftlichen Engagements nicht lediglich aus einer Defizitperspektive betrachtet, sondern als ihr spezifischer Beitrag zur Gestaltung des Gemeinwesens anerkannt werden. Es geht schließlich um die Gestaltung ihrer eigenen Zukunft. Maßnahmen zur Stärkung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen dürfen sich deshalb nicht auf die symbolische Ebene beschränken. Sie entfalten nur dann Wirkung, wenn die erwachsenen Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen bereit sind, die wachsende Verantwortungsbereitschaft und -fähigkeit von Kindern und Jugendlichen zu fördern, ihnen Entscheidungsbefugnisse zu eröffnen und ihre berechtigten Interessen und Motive angemessen zu berücksichtigen. “16
Schröder vertritt deshalb die Meinung, daß „gute“ Beteiligungsformen dadurch gekennzeichnet sind, daß Kinder und Jugendliche „freiwillig, unter Begleitung von Erwachsenen, an einem gemeinsam formulierten und transparenten Ziel mit hoher Verbindlichkeit in überschaubaren Prozessen arbeiten.“17
Außerdem gilt es zu beachten, daß nicht nur die jeweiligen Bedürfnisse der Kleinkinder, Grundschulkinder, Teenager, Jungen und Mädchen, der deutschen und ausländischen Kinder und auch der behinderten Kinder an ihre Umwelt zu berücksichtigen sind und somit jeweils unterschieden werden müssen. Auch muß man berücksichtigen, daß die jeweilige Altersspanne der Zielgruppe, hinsichtlich ihrer Kompetenzen18 zur Beteiligung, ebenfalls entscheidend für das Gelingen von partizipativen Projekten ist. Denn natürlich darf man die jeweilige Zielgruppe weder über- noch unterfordern.
So kommt man nun quasi zwangsläufig zu den Grundüberlegungen, die sich jeder (kinder-)politisch Handelnde machen sollte, bevor er partizipative Projekte mit Kindern und Jugendlichen initiiert.
Prüfsteine zur qualifizierten Partizipation von Kindern und Jugendlichen
Möchte man Kinder und Jugendliche wirklich ernsthaft beteiligen bzw. ihnen wirklich die Chance zur Mitbestimmung eröffnen und demzufolge die dann gewonnenen Entscheidungen auch umsetzen, müssen bestimmte Aspekte berücksichtigt werden, die es bei konzeptionellen Überlegungen zu den jeweiligen Projekten auf jeden Fall zu berücksichtigen gilt.
Brunsemann, Stange und Tiemann19 sowie Frädrich und Jerger-Bachmann20 zählen Prinzipien, bzw. Grundbedingungen auf, die man als „Checkliste“ begreifen kann und die ich an dieser Stelle kurz zusammenfassen möchte:
Über- und Unterforderung:
Kinder und Jugendliche sollten, wie jeder Mensch, nicht mit Themen und Entscheidungen konfrontiert werden, die sie überfordern bzw. sowieso nicht bewältigen könnten. Sich zur Lösung von Problemen, die eine gesamte Großstadt oder gar den gesamten Globus betreffen, mit Kindern und Jugendlichen zu treffen, macht wenig Sinn. Besser ist es, wenn Kinder und Jugendliche „im Rahmen projektorientierter Verfahren … an der Gestaltung ihrer unmittelbaren Lebenswelt … beteiligt werden. Aber auch Partizipation in der Stadt- und Gemeindeentwicklung ist sinnvoll und möglich: Neue Wohngebiete, Sanierung von Stadtteilen, Verbesserung von Verkehrswegen. Dies gilt vor allem auch für die Beteiligung an Bauleitplanungen.“21
Würde man denken, Kinder und Jugendliche wären dazu nicht fähig, würde man sie bei weitem unterschätzen und unterfordern. Gleichzeitig würden sie um Möglichkeiten der Beteiligung beraubt.
Freiwilligkeit:
Daß Kinder und Jugendliche sich freiwillig beteiligen sollten und wollen, habe ich bereits im letzten Kapitel verdeutlicht. Nur so kann Spaß und Freude am Tun zustande kommen. Druck und Zwang würden dies verhindern.
Ernstcharakter, Akzeptanz und Umgang:
Erwachsene sollten sich ernsthaft mit Kindern und Jugendlichen auseinandersetzen und sie akzeptieren, wie sie sind. Dies geht schon aus diesem Kapitel hervor. Hinzu kommt in diesem Fall aber auch, daß sie sich für sie einsetzen und ihnen keine leeren Versprechungen geben, was zu Resignation und Frustration führen würde. Es müssen schon im Vorfeld Verbindlichkeiten, was die (finanzielle und durchgehend partizipative) Realisierung von Projekten betrifft, in der Erwachsenenwelt hergestellt werden.
Kommunikative Kompetenz:
Kinder, Jugendliche und Erwachsene haben unterschiedliche Bedürfnisse, die sie auch unterschiedlich verbalisieren. Daraus folgt, daß neue Formen der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit gefunden werden müssen, damit sich beide Seiten auch verstehen können. Es gilt also zwischen ihnen zu vermitteln, Fachtermini zu vermeiden und ihre jeweiligen Sprachen für die andere Altersgruppe zu „übersetzen“. Dazu gehört, daß Kinder und Jugendliche so informiert werden müssen, daß sie verstehen und somit wissen, worum es geht. Die Erwachsenen müssen wiederum in ihrer Sprache informiert werden, damit die jeweiligen Beteiligungsprojekte in deren Strukturen durchgesetzt werden können.
Kooperative Kompetenz und Planung:
Da Kinderpolitik immer Querschnittspolitik ist, gilt es bei der Umsetzung von Projekten von Anfang an alle Beteiligten – Kinder und Jugendliche, als auch Ämter, Architekten, Behörden und Politiker – mit einzubeziehen. Denn nur in Kooperation mit allen zuständigen Instanzen können gemeinsame und demzufolge befriedigende Ergebnisse erarbeitet und realisiert werden.22
Faktor zeitnahe Umsetzung:
Kinderpolitik – in diesem Fall partizipative Projekte – müssen in einem absehbaren, gerade für jüngere Kinder erfahrbaren Zeitraum initiiert und realisiert werde. „Eine Achtjährige, die über einen Spielplatzumbau mitentschieden und ihn mitgeplant hat, darf die Realisierung nicht erst als Vierzehnjährige erleben.“ 23 Gleichzeitig muß man sich aber der Tatsache bewußt sein, daß dies oftmals entgegengesetzt zu den administrativ-zeitlichen Regeln und Abläufen in den jeweiligen kommunalen Verwaltungseinheiten steht. Hier kommt es also wieder auf Kooperation (auch schon im Vorfeld von Projekten) an.
Zusammensetzung der Zielgruppe und Repräsentativität:
Beteiligungsprojekte sollten auch unerfahrenen Kindern und Jugendlichen offenstehen, damit nicht nur „Elitekinder“ von ihnen profitieren. Die Zielgruppen sind also Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts, aus unterschiedlichen Milieus, unterschiedlicher Nationalität, unterschiedlichen Schulen und mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Ihnen allen sollte es offen stehen, ob sie denn mitmachen wollen. Nur so kann man davon ausgehen, daß man am Ende eines Projektes ein repräsentatives Ergebnis der Kinder und Jugendlichen in der jeweiligen Gemeinde hat, zu dem letztendlich auch alle einen Bezug haben. Dies bedeutet gleichzeitig, daß immer nach den geeignetsten Methoden zur Umsetzung der jeweiligen Projekte zu suchen ist.
Expertenschaft von Kindern und Jugendlichen:
Daß Kinder und Jugendliche Experten für ihre Umwelt sind, habe ich bereits beschrieben. Sie wissen besser als die erwachsenen „Experten“, was gut für sie ist und wo Verbesserungsmöglichkeiten, etwa ihr Wohnumfeld betreffend, angebracht sind. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen kann kommunale Planungsprozesse sicherlich aufgrund der diskursiven Vorgehensweise verlangsamen. „Sie macht sie aber auch treffsicherer hinsichtlich der Nutzergruppen und hilft teure Fehler zu vermeiden. Sie macht Planung also letztlich effektiver.“24
Wandelbarkeit und Lebendigkeit:
Bei Planungen, die das Wohnumfeld betreffen, sollte berücksichtigt werden, daß Kinder und Jugendliche sich entwickeln und mit ihnen deren Bedürfnisse. Deshalb geht es darum, wie hier beschrieben, veränderbare Umwelten zu schaffen, die die Kinder und Jugendlichen ihren Bedürfnissen entsprechend umgestalten können und dürfen.
Echter Mitbestimmungscharakter:
In diesem Kapitel kam bereits zum Ausdruck, daß mit dem Begriff der Partizipation verschiedene Stufen der Beteiligung gemeint sein können. So muß man sich von vornherein darüber im Klaren sein, ob es sich bei dem jeweiligen Projekt auch tatsächlich um Mitbestimmung handelt, also den Kriterien entspricht, wie ich sie unter jenem Begriff genannt habe.
Qualifizierte Partizipation und Geld:
Daß Erwachsene den Kindern und Jugendlichen beratend, helfend und fördernd zur Seite stehen sollten, wenn Projekte initiiert bzw. durchgeführt werden, habe ich bereits beschrieben. Neben den qualifizierten Erwachsenen (z. B. in der Moderationstechnik ausgebildetes Fachpersonal), sind außerdem Räumlichkeiten und diverses Material vonnöten, um ein Projekt umzusetzen. Dies macht klar, daß partizipative Projekte immer auch mit Kosten verbunden sind. Allerdings: Sind sie gut umgesetzt und auch wirklich realisiert worden, hilft dies weitere (soziale) Kosten einzusparen. Dies wird leider des öfteren zunächst vergessen.25
Vor- und Nachteile verschiedener Partizipationsformen für Kinder und Jugendliche
Auf kommunaler Ebene haben sich im Bundesgebiet bereits eine Vielzahl von unterschiedlichen Beteiligungsformen etabliert. Deren Vor- und Nachteile möchte ich an dieser Stelle kurz zusammenfassen.26
Parlamentarische bzw. repräsentative Formen der Partizipation:
Gemeint sind Gremien mit gewählten oder delegierten Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Altersstufen. In diese Kategorie gehören in erster Linie Kinder- und Jugendparlamente, Jugendgemeinderäte und Jugendbeiräte. Die Wahl der Kinder und Jugendlichen wird zumeist von Schulen, Vereinen, kommunalen Einrichtungen oder sogar Bürgermeistern initiiert, wovon letztere des öfteren auch den Vorsitz inne haben. Dezernenten sowie Amtsleiter können anwesend sein.
Diese Formen werden von Kindern und Jugendlichen zumeist als kritisch und langweilig angesehen, da sie lediglich die parlamentarischen Formen der Erwachsenen kopieren ( „Debattierclubs“, in denen alles viel zu lange dauert). Außerdem kommt noch hinzu, daß die anwesenden Politiker – so sie diese Einrichtung überhaupt Ernst nehmen und erscheinen – über die Köpfe der Kinder hinwegreden, bzw. Antworten geben, die die Kinder und Jugendlichen gar nicht verstehen können. So kommt bei den Kindern und Jugendlichen schnell das Gefühl auf, gar nicht ernst genommen zu werden. Dazu gesellt sich auch der Verdacht, lediglich eine Alibifunktion inne zu haben, da die sie zwar in einem offiziellen Vertretungsgremium sitzen, aber bestenfalls Empfehlungen an kommunale Ausschüsse geben können. Ihre Entscheidungen haben also (wenn überhaupt) nur wenig konkrete und direkte Auswirkungen auf ihre Wünsche und Bedürfnisse.
Hinzu kommt, daß es sich bei den Kindern, die diese Form der Beteiligung anspricht, zumeist um „Elitekinder“ handelt, „die ein starkes Selbstbewußtsein haben und gut reden können, während sprachunbegabte oder auch ausländische Kinder ausgegrenzt werden; als Nachteil wird auch gesehen, daß über die praktizierten Delegationsverfahren betroffene Kinder nicht direkt einbezogen werden.“27
Eine Möglichkeit, diese Formen der Beteiligung hinsichtlich der Prüfsteine aus diesem Kapitel umzugestalten, wäre ein Verfahren, „in … (dem) sozialpädagogisch betreute Projekte zur Spielplatz- und Raumgestaltung, zum Umweltschutz u. ä., die allen Kindern und Jugendlichen offen stehen, durch gewählte Vertreter/innen repräsentiert werden.“28
Die Frage bleibt an dieser Stelle erlaubt, ob diese Form der Partizipation damit nicht sowieso hinfällig ist, da man mit anderen Formen (s. u.) repräsentativer, effektiver und somit kindgerechter arbeiten kann. Auch Schröder29 kommt zu dem Schluß, daß Kinderparlamente als nicht kindgerechte Beteiligungsform betrachtet werden können, daß Kinder vielmehr mißbraucht werden, da ihnen nur scheinbar Macht und Einflußmöglichkeiten gegeben werden.
Mediengebundene Formen der Partizipation:
Hierbei handelt es sich um relativ neue, aber nicht seltene Formen der Beteiligung. So gibt es etwa Kinderfunk im Radio, Kindersendungen im Fernsehen, Kinderseiten im Internet, spezielle Seiten bzw. Rubriken in Tageszeitungen oder aber spezielle Kinderzeitungen und -illustrierte an sich, wo sich Kinder und Jugendliche zumindest mitteilen können.30
Die Gefahren dabei sind, daß jene Medien dazu mißbraucht werden könnten, zur bloßen Dekoration und Alibi-Teilnahme zu verkommen, wenn Kinder und Jugendliche nur dazu dienen sollen, Politikern oder sonstigen erwachsenen Entscheidungsträgern als schmückendes Beiwerk zu dienen, damit jene ihre vermeintliche, aber immer werbewirksame „Kinderfreundlichkeit“ unters Volk bringen können.
Die großen Chancen dieser Formen liegen allerdings darin, z. B. in Projekten erarbeite Entscheidungen publik zu machen und ihnen somit einen Anschub zur Realisierung zu geben. Kinder und Jugendliche können in öffentlichen medialen Zusammenkünften oft direkt an Entscheidungsträger herantreten und diese dabei gleichzeitig – und das öffentlich – in die Pflicht nehmen. Außerdem kann man durch diese Öffentlichkeitsarbeit weitere Verbündete und Sponsoren gewinnen.
Des weiteren besteht so die Möglichkeit, daß Kinder und Jugendliche „in Medienprojekten lernen, bewußt und kritisch mit Mediensystemen umzugehen … Der Umgang mit Medien macht diese durchschaubarer und vertrauter, die Gefahr der Manipulation wird geringer.“31
Offene Formen der Partizipation:
Diese Beteiligungsart zeichnet sich durch freien Zugang für alle interessierten Kinder und Jugendlichen und die Möglichkeit zu spontaner Teilnahme (z. B. an einem klar umgrenzten Thema) aus. Stärker als im Kinderparlament können die hier Teilnehmenden direkt Probleme und Wünsche an die Adresse der Erwachsenen äußern. Zu dieser Form der Beteiligung zählen Kinder- und Jugendforen, Kinderversammlungen, Kinderkonferenzen oder Jugendhearings.
Durch die freie und teilweise spontane Teilnahme kann eine Repräsentanz und eine gute Informiertheit, wie ich sie im letzten Kapitel beschrieben habe, leider nicht erreicht werden. Aufgrund der eventuell großen Anzahl der Teilnehmer und deren Alterspanne kann es möglicherweise zu Kommunikationsproblemen und zu kollidierenden Interessen kommen, bzw. können einzelne Themenpunkte aufgrund Zeitmangels gar nicht erst behandelt werden. Andererseits sind die Zeiträume, zwischen denen Zusammenkünfte stattfinden und zwischen denen eventuelle Veränderungen sichtbar werden, für Kinder und Jugendliche oft zu lang.
Der Nachteil dieser Formen ist außerdem, daß nicht immer Verbindlichkeiten zu gemeinsam erzielten Ergebnissen erreicht werden können, was wiederum Auswirkungen auf die Motivation haben kann.
Auch wenn wenig konkrete Auswirkungen zu erwarten sind, bieten diese Formen doch die Möglichkeit, daß Kinder und Jugendliche „sich zu ihrer unmittelbaren Lebenswelt … äußern und dies weitgehend unbeeinflußt von Erwachsenen. Die in der Regel zuhörenden Erwachsenen sollen lernen, Kinder als gleichberechtigte, mitdenkende und mithandelnde Partner zu betrachten, deren Interessen und Wünsche am gesellschaftlichen Leben zu berücksichtigen sind.“32
Wenn offene Formen der Partizipation auf Stadtteilebene stattfinden, also in einem überschaubaren Rahmen und nach Altersgruppen getrennt ablaufen, können diese Formen aber besser funktionieren. Wenn dazu noch eine gute Vorabinformation aller Beteiligten, eine gute Moderation (auch als „Übersetzer“) hinzu kommt und kreative Methoden (welche in diesen Formen der Beteiligung nicht unüblich sind) mit einbezogen werden, kann man ein Klima bereitstellen, in dem auch sprachlich weniger versierte und weniger selbstbewußte Kinder und Jugendliche sich trauen, ihre Wünsche zu äußern.
Projektbezogene Formen der Partizipation:
Dies sind thematisch und zeitlich begrenzte Beteiligungsprojekte, in denen häufig mit kreativen Methoden gearbeitet wird. Ein Großteil der Projekte ist im Bereich der Gestaltung von Spiel- und Freizeitflächen zu finden. Weitere Themen von Beteiligungsprojekten sind z. B. Verkehrsplanung, Kinderstadtpläne, schulbezogene Projekte.
Projektorientierte Formen haben im Bundesgebiet die größte Verbreitung gefunden und haben sich als die vorteilhafteste Form zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen herausgestellt. Gerade die Methode der Beteiligungsspirale nach Waldemar Stange ist dabei zu erwähnen, welche ich in diesem Kapitel näher beschreiben werde.
Grundsätzlich (wenn teilweise auch mit Modifikationen) sind alle genannten Maßnahmen geeignet, um ein größeres Maß an aktiver gesellschaftlicher Beteiligung und Verantwortung junger Menschen zu erreichen. „Es gibt nicht die Form oder die Methode der Partizipation. Vielmehr ist eine adäquate Form zu finden, die den Bedingungen in der Gemeinde und der gestellten Aufgabe entspricht.“33
Dabei ist die Wahl der Partizipationsform auch abhängig von Alter und Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen.
Partizipationsfähigkeit aus der Sicht der Entwicklungspsychologie
Partizipation ist also nicht lediglich an strukturelle und politische Vorraussetzungen, bzw. Gegebenheiten gebunden, welche sich aus den jeweils lokalen Bedingungen kommunaler Politik, sowie rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ergeben. Vielmehr spielen auch persönliche Vorraussetzungen eine Rolle.
„Die persönlichen Vorraussetzungen … lassen sich erweitert im Begriff der Mündigkeit, im Sinne eines für die Individuen verfügbaren Systemes sozialer und intellektueller Kompetenzen (z. B. Wahrnehmungsfähigkeit, Informiertheit, Reflexionsfähigkeit) zusammenfassen.“34
Die Frage stellt sich deshalb, ab wann Kinder aufgrund ihrer geistigen Entwicklung denn überhaupt fähig sind, sich an politischen, planerischen und gestalterischen Themen, die ihre Zukunft betreffen, zu beteiligen.
Schröder stellt eine Klassifizierung nach Altersgruppen hinsichtlich stadtplanerischer Aspekte zusammen, die allerdings mit „aller angebrachten Vorsicht und Unschärfe “35 zu betrachten ist. So stellt er fest, „daß im Alter
- ab 4 – 6 Jahren Kinder ihre Meinung klar vertreten können, wenn es um ihren Wohnblock oder einzelne Spiel- und Aufenthaltsorte geht,
- von 6 – 10 Jahren Kinder ihren unmittelbaren Lebensbereich (Haus, Wohnumfeld) überblicken und Handlungen stark lustorientiert sind,
- ab 10 Jahren Kinder eher zur Abstraktion fähig sind, Strukturen in Ansätzen erkennen und entwickeln können, zwischen eigenen und fremden Interessen stärker differenzieren,
- ab 14 Jahren Fähigkeiten, Strukturen zu abstrahieren, stärker entwickelt sind und in subjektiven und allgemeinen Kategorien gedacht werden kann.“36
Wie ich bereits in den vorangegangenen Kapiteln erwähnt habe, gilt es diese altersspezifischen Punkte bei der Konzeption der jeweiligen Beteiligungsformen zu berücksichtigen.
Schröder ergänzt, daß Kinder bereits im zweiten Lebensjahr ein von der Umwelt abgegrenztes Selbstkonzept entwickelt haben und mit spätestens drei Jahren über sich selbst reflektieren können. Werden ihnen dann noch entwicklungsangemessen aufbereitete (also für sie verständliche) Informationen zugänglich gemacht, verstehen sie auch, worum es geht und können Entscheidungen treffen. Damit aber nicht genug, denn es handelt sich nicht nur um das Können an sich, vielmehr wollen die Kinder auch Entscheidungen treffen, wollen über ihr Handeln und über sie betreffende Dinge selbst bestimmen. So läßt sich auch die bekannte Trotzphase als nichts anderes als der hier zum Ausdruck gekommene starke Wille der Kinder in diesem Alter erklären.
Mit Beginn des Grundschulalters entwickelt sich dann auch die Fähigkeit zum logischen Denken. Sie können logische Schlüsse ziehen und sind ab dem sechsten Lebensjahr auch darin als gleichwertige Individuen zu betrachten.
„Ab nun gibt es keine Entschuldigung mehr dafür, sie nicht an Entscheidungen, die sie selbst betreffen, mitwirken zu lassen. Im Gegenteil, im Regelfall sollte die kindliche Meinung den Ausschlag geben, sofern dem Kind die nötige Information zur Verfügung steht. “37
Schröder geht von den Untersuchungen aus, die Piaget vornahm, um herauszufinden, wie sich die menschliche Intelligenz in Kindheit und Jugend entwickelt. Dabei entwickelt sich „das Verständnis für Objekte, Raum und Zeit sowie für kausale und psychologische Zusammenhänge in einer Abfolge von Stufen. Diese Stufen sind jeweils als organische Gesamtheiten zu sehen, als spezifische Weltbilder, in denen das einzelne Kind die Welt begreift und in ihr handeln kann. Diese Stufen, die bei allen Kindern kulturübergreifend gleich sind und deren Abfolge universell ist, bezeichnet Piaget als Strukturen. “38
Ginge man allerdings von diesen Strukturen39 aus, würde man kleine Kinder bei weitem unterschätzen. Denn Schröder kam aufgrund eigener Untersuchungen zu dem Schluß, daß sich Piagets Untersuchungsmethoden auf altersunangemessene Versuchssituationen und Testmaterialien stützten. Piagets Ergebnisse beruhen mehr auf verbalen und zeichnerischen Methoden, welche sich für kleine Kinder als unangemessen erweisen, da ihre zeichnerischen, geschweige denn ihre verbalen Fähigkeiten noch nicht genug ausgeprägt sind.
„Das heißt, Untersuchungen, die das Raumverständnis von Kindern mit Hilfe von verbalen oder graphischen Methoden erheben, messen mehr diese Fähigkeiten als das Wissen über die Umwelt.“40
In möglichst genauen dreidimensionalen Modellen oder aber Karten und Plänen hingegen, können sich schon Kinder ab 3 Jahren sehr gut zurechtfinden.41 Wenn man etwa Kinder im Alter von einem Jahr dabei beobachtet, wie sie mit Modellautos, Modelltieren und Modellmenschen spielen und damit anfangen, ihre Umwelt nachzubauen, so kann man zu dem Schluß kommen, daß das „Betrachten und Erkennen aus vertikalen Positionen (Vogelperspektive) und die Umwandlung der Realität in einen anderen Maßstab und in Symbole … eine natürliche Fähigkeit eines jeden Kleinkindes zu sein“42 scheint.
So kommt Schröder also, abweichend von Piaget, zu den weiter oben angeführten „Klassifizierungen“, welche letztendlich mit Einschränkungen zu betrachten sind, da ja jedes Kind andere Sozialisationsfaktoren vorfindet.
Zu diesen Aspekten kommt noch hinzu, daß eine „zeitliche Beschleunigung der … Reifeentwicklung … von Kindern und Jugendlichen“43, hervorgerufen durch die zum Teil auch positiven veränderten Lebensbedingungen innerhalb der Gesellschaft44, zu beobachten ist.
So kommt es, daß Kinder im Alter von 10 bis 12 Jahren bereits eine psychische – geistige, gefühlsmäßige, soziale – Reifung vollzogen haben, welche ihnen bereits in diesem Alter ein gewaltiges Wissen um die Welt um sie herum bereithält. „Der Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern ist gar nicht so groß, zumindest bezüglich der Entscheidungskompetenz für die Zukunft. Es ist fraglich, ob Kinder wirklich soviel weniger rational über ihre ureigensten zukünftigen Belange urteilen können als Erwachsene ….“45
Allerdings ist dabei immer zu berücksichtigen, daß sich Kinder anders mitteilen, als dies Erwachsene tun. „Es wird klar, daß die Frage nicht heißen muß, ob Kinder beteiligt werden können, sondern wie Beteiligungsformen für Kinder aussehen müssen, so daß sie Kindern eine reelle Chance zur Partizipation geben. Beteiligungsformen für Kinder dürfen nicht primär auf verbalen Methoden basieren. Sie müssen vielmehr den Fähigkeiten der Kinder angepaßt werden. Dafür bietet sich z. B. die Arbeit mit dreidimensionalen Modellen an.“46
„Mit dem Modellbau wurde ein Forschungsinstrument gleichzeitig als Partizipationsmethode eingesetzt, und die Ergebnisse zeigten, daß sie eine für Stadtplanung sehr aussagekräftige Methode der Interessenerhebung darstellt.“47
Bartscher führt als eine weitere altersangemessene Methode noch die der Fotostreifzüge an. Diese ermöglicht es den Kindern und Jugendlichen ebenfalls, gemeinsam mit erwachsenen Begleitern, diesen ihre subjektiven Bedeutungen der verschiedenen Orte in ihrem Stadtteil zu zeigen, anschließend zu bewerten und dann gemeinsam (eventuell im Modellbau) zu verbessern.
Letztendlich sind beide Methoden – auch in Kombination – dazu geeignet, „das Raumverhalten der Kinder positiv zu beeinflussen und ihre Interessen in die Gestaltung dieser Räume miteinzubeziehen.“48
Partizipation und Verantwortung
„Die gesamte politische Sozialisation muß von den Leitideen „Mitbestimmung und Mitverantwortung“ geprägt sein. Entscheidend ist, daß die Orte, an denen sich Kinder und Jugendliche täglich aufhalten, von einer so hohen Mitbestimmungsqualität sind, daß politische, soziale und kulturelle Grunderfahrungen gemacht werden können, die die junge Generation dazu befähigen, ihre Zukunft bewußt zu gestalten.“49
Habe ich bereits in diesem Kapitel auf den Begriff des Kindeswohls hingewiesen, der die Sonderstellung von Kindern und Jugendlichen begründet und zum Ausdruck bringen soll, daß diese ein „Recht auf eine Entwicklungsphase haben, in der sie die Chance erhalten, ohne den Druck einer umfassenden Verantwortung für andere eigene Bedürfnisse und Fähigkeiten auszubilden,“50 so möchte ich diesen Aspekt hier weiter verdeutlichen.
Im Zehnten Kinder- und Jugendbericht heißt es dazu, daß „ihre Anstrengungen, sich Sinn, Werte und Regeln anzueignen sowie Wissen und Können zu erwerben, von ihrem Willen angetrieben (werden), einen Platz im Leben unter und mit anderen Menschen eigenverantwortlich ausfüllen zu können. … Verantwortung ist deswegen ein grundlegendes Element menschlichen Handelns, weil sich in ihr die individuelle und soziale Natur des Menschseins verbinden.“51
Dies bedeutet zum Einen, daß sich der einzelne Mensch sich seines eigenen Handelns zurechnet und sich somit dessen Konsequenzen stellen muß. Zum Anderen bedeutet dies auch – da er ja immer in einem sozialen Kontext steht -, daß er, was zu verantworten ist, niemals allein bestimmen kann. Die Konsequenzen des eigenen Handelns wären also jeweils im gemeinsamen Diskurs mit seiner sozialen Umwelt auszuhandeln. Erst durch diesen Aneignungsprozeß, wenn es etwa um alltägliche Probleme und um Handlungsalternativen geht, wird die Fähigkeit der Heranwachsenden zur Übernahme von Verantwortung weiter ausgebildet. Hinzu kommt, daß sich verantwortliches Handeln nur unter konkreten Bedingungen lernen läßt, weshalb es von Seiten der Erwachsenen wichtig ist, diesen Aneignungsprozeß im Alltag, wenn es dort um Verantwortlichkeit und Konsequenz ihrerseits geht, selbst als Vorbild zu fungieren und somit zu unterstützen. „Es ist eine Frage des alltäglichen Umgangs, ob sich Kindern dies mitteilt.“52
Dies beinhaltet, daß nicht auf der einen Seite die Verantwortlichkeit der Bürger beschworen wird, während man auf der anderen Seite die Vorraussetzungen dafür nicht schafft. Dies gilt im Verhältnis Staat zum Bürger, als auch im Verhältnis Staat und Erwachsene gegenüber Kindern und Jugendlichen. Möchte man Heranwachsende dazu befähigen, ihre Meinung zu äußern, Vorschläge einzubringen, sowie Handlungsalternativen und Zukunftsentwürfe auszuarbeiten, welche ihre eigene Lebenssituation verbessern helfen, muß man auch dafür Sorge tragen, daß jene Ideen auch umgesetzt werden können. „Die Verantwortung für die Konfrontation der Ideen mit den gesellschaftlichen Realitäten, ihre Vermittlung gegenüber den Entscheidungsträgern, die politische Umsetzung und Realisierung können nur Erwachsene tragen, das ist ihre Aufgabe.“53 – Und zugleich ist es ihre Verantwortlichkeit, die sie gegenüber den Heranwachsenden tragen, wenn es um deren heranwachsende Verantwortungsübernahme geht.
Bartscher ergänzt, daß es bei der Klärung von Verantwortlichkeiten nicht zu einer Überforderung oder einer Verlagerung von Erwachsenenverantwortung auf die Kinder kommen darf. „Erst recht bedeutet es ein grobes Verschieben von Verantwortung, Kindern die Rolle eines Motors der gesellschaftlichen Veränderungen zuzuweisen, während Erwachsene als Helfer oder Unterstützer dabeistehen. Politik mit Kindern, Kinderbeteiligung hat einen „Einmischungsauftrag“, die Verantwortung für Entscheidungen können jedoch nur die Entscheidungsträger tragen. … Für die bestehende … Gesellschaft sind die Erwachsenen verantwortlich, die sie schaffen, nutzen, tolerieren oder durch die unterschiedlichsten Verhaltensweisen mittragen.“54
Ein verwandter Begriff der Verantwortung ist der der Selbständigkeit. Mit diesem Begriff sind zwei Aspekte gemeint. Während der erste, funktionale Aspekt darauf zielt, daß Kinder bestimmte Verrichtungen ihrem Alter entsprechend allein ausführen bzw. bewältigen können, betont der zweite, produktive Aspekt, daß Kinder sich im Denken und Handeln aus (von Erwachsenen) vorgegebenen Bahnen zu lösen vermögen.55 „Während funktionale Selbständigkeit zumeist willkommen ist, weil sie Erwachsene entlastet, stößt produktive Selbständigkeit des öfteren auf Widerspruch, weil sie u. U. Interessen, Besitzstände oder Verschwiegenes berührt.“56 Dabei handelt es sich hierbei doch nur um das subjektive Streben nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung57, das natürlich auch Kindern gegeben ist.
Die Autoren des Zehnten Kinder- und Jugendberichts resümieren, daß das Thema der wachsenden Verantwortung der Kinder und Jugendlichen eine konstruktive Perspektive von Verantwortung beinhalten sollte, „die nicht von der Verletzung einer Norm ausgeht, sondern von der gemeinsamen Anstrengung für Fairneß, Gerechtigkeit und Für-einander-einstehen. … Kinder können diese konstruktive Seite von Verantwortung bereits in frühen Lebensjahren kennenlernen, nämlich dann, wenn sie Bereiche, für die sie sich zuständig betrachten, nach eigenen Vorstellungen zu gestalten beginnen. Gerade darüber können in produktiven Auseinandersetzungen mit … anderen Erwachsenen die Regeln und Maßstäbe deutlich werden, anhand deren Kinder (und Erwachsenen) bestimmen können, was Verantwortung in der jeweiligen Situation bedeutet. … Den Kindern und Jugendlichen Bereiche zu eröffnen, in denen sie verantwortlich handeln können, ist deswegen entscheidend für ihre weitere Entwicklung, weil die Vorraussetzungen zu verantwortlichem Handeln vor allem dadurch erworben werden, daß es Gelegenheit dazu gibt, verantwortlich zu handeln.“58
Wenn man es Kindern und Jugendlichen also ermöglicht, in einem wachsenden (Aneignungs-) Prozeß zunehmend Verantwortung für Dinge zu übernehmen, die sie aufgrund ihrer eigenen Bedürfnisse, selbst erdacht, erarbeitet und erschaffen haben, dann hat das auch Auswirkungen auf deren selbstbestimmtes, verantwortungsvolles und politisches Hineinwachsen und Leben in eine Gemeinschaft. „Erst dies ermöglicht letztendlich die Identifizierung mit dem Geschaffenen, fördert aber gleichzeitig das Gefühl von Verantwortung und den verantwortungsvollen Umgang mit der materiellen und sozialen, der ökologischen und technologischen Umwelt.“59
Diese Förderung von Kindern und Jugendlichen bedeutet gleichzeitig, daß die durch Mitbestimmung (-smodelle) erlangte soziale und politische Phantasie und Kreativität (auch im verantwortungsvollen Umgang mit Anderen) dabei helfen kann, Konflikte in der Kommune zu reduzieren sowie die Qualität kommunaler Planungen und Entscheidungen entscheidend zu verbessern. Dies meint, daß man durch die Beteiligung auch von Einwohnergruppen, die sonst meist bei kommunalen Planungen, Prozessen und Aufgaben vergessen werden, erreichen kann, daß diese Vertrauen in die lokalen demokratischen Institutionen (wenn Partizipation von diesen nicht lediglich als „Spielwiese“ betrachtet wird) erlangen und die praktische Erfahrung der eigenen Einflußmöglichkeiten zur Veränderung der eigenen Lebensbedingungen erleben. Durch diesen Aneignungsprozeß identifizieren sie sich mit jenen Ergebnissen und sind bestrebt, diese zu erhalten. So kann man sagen, daß Mitbestimmung gleichzeitig eine Vandalismus-Prophylaxe ist und hilft, den sozialen Frieden in der Gemeinde aufrecht zu erhalten.
„Die mit Beteiligung verbundene Erhöhung der Identifikation mit dem eigenen Gemeinwesen und seinen Einrichtungen schafft langfristig eine Erhöhung der Lebensqualität für alle. “60
Zusammenfassend muß man also festhalten, daß, wenn Kindern und Jugendlichen echte, ihrem Alter entsprechende Mitbestimmung ermöglicht wird, dies nicht nur Auswirkungen auf die Stellung „Minderjähriger“ in unserer Gesellschaft hätte, sondern daß damit auch weitreichendere Auswirkungen auf das Zusammenleben in unserer Gesellschaft einhergehen würden.
„Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Angelegenheiten ist eine Schlüsselentscheidung der Gesellschaft. Hier entscheidet sich, ob so früh wie möglich die Auseinandersetzung mit eigenen und anderen Interessen, individuellen Ansprüchen und übergreifenden Gemeinschafts- und Gesellschaftsinteressen praktiziert und geübt werden kann. Hier entscheidet sich auch, ob eine demokratische Gesellschaft wirklich an der Weiterentwicklung ihrer Demokratie interessiert ist.“61
Partizipation und gesellschaftliche Demokratisierung
„Um Bürger zur Mitarbeit an gesellschaftlichen Prozessen und zur Mitverantwortung für politische Entwicklungen zu gewinnen, kann die alleinige Einführung plebiszitärer Abstimmungen nur als bedingt taugliches Instrument erachtet werden.“62 Vielmehr ist eine „aktive Beteiligung der Bürger an politischen und gesellschaftlichen Angelegenheiten … eine notwenige Vorraussetzung zur Verwirklichung eines demokratischen Gemeinwesens. Beteiligung (Partizipation) ist dabei sowohl als Mittel zur Einbringung und Durchsetzung von Interessen wie auch als Zweck i. S. einer Selbstverwirklichung der Menschen durch Beteiligung zu verstehen.“63
Damit wird sogleich die „Hoffnung verbunden, daß … eine Annäherung von Alltags- und Politikerfahrungen junger Menschen möglich wird. Es wird dabei davon ausgegangen, daß wer nicht sehen kann, was seine konstruktive Einmischung in die Gesellschaft und die Politik bewirkt, schwer dazu zu bewegen sein dürfte, sich politisch zu engagieren.“64 Dies ist gerade in der hiesigen Gesellschaft von Bedeutung, da Untersuchungen65 zeigen, daß sich der Großteil junger Menschen immer mehr von den althergebrachten Formen der Politik distanziert hat. Politik und Demokratie werden eher als eine „abstrakte, bürokratisierte, dem Alltagsleben ferne Welt empfunden. “66 Diese Intransparenz, wie sie auch auf lokaler Ebene empfunden wird – und die daraus folgende Resignation -, hat für junge Menschen zur Folge, daß sich immer weniger von ihnen ehrenamtlich in Parteien und Vereinen engagieren wollen. Gleichzeitig wird von einer Vertrauenskrise junger Menschen gegenüber (politischen) Institutionen gesprochen.67
Echte partizipative Möglichkeiten – transparent und bedürfnisorientiert – könnten diesem Dilemma Abhilfe schaffen. „Die Einrichtung von Formen der Kinderbeteiligung kann als Weiterentwicklung unseres demokratischen Systems vielleicht sogar dazu beitragen, dem überall festzustellenden Phänomen der „Politikverdrossenheit“ entgegenzuwirken.“68 Denn Kinder und Jugendliche „sind nicht unkritischer als die kritischen Veteranen, aber sie sind müde zu kritisieren, und sie sind nicht unpolitischer, aber sie sind müde zu politisieren.“69
Allerdings scheint sich diese Resignation auch darauf zu gründen, als sich die Politik, u. a. aufgrund der Überalterung der Gesellschaft, als jugendverdrossen darstellt. „Es handelt sich um eine nur noch politisch dahindümpelnde, gerontokratische gegenwartsorientierte Gesellschaft, der nicht nur die Auseinandersetzung um gesellschaftliche Zukunftsfragen (Demokratisierung und Ökologisierung einer globalen und weltweiten Risikogesellschaft), sondern selbst die … Idee eines gleichheitsbezogenen, gerechteren Lebens und humaneren Gesellschaft abhanden gekommen zu sein scheint. “70
Dies steht im krassen Gegensatz dazu, daß Kinder und Jugendliche heute immer mehr als Leitbild- und Expertengruppe verstanden werden kann, die zum Einen besser mit den derzeitigen Gegebenheiten, Anforderungen und Techniken klar kommt / klar kommen muß und zum Anderen ein ureigenes Interesse daran besitzt, wie es zukünftig um ihr Leben bestellt ist.71 Gerade, wenn es darum geht, positive Zukunftsszenarien zu entwickeln, müßten sie die Ersten sein, die gefragt werden sollten. Denn es sind die Kinder und Jugendlichen selber, die in der Zukunft leben (müssen), die heute (von den erwachsenen Entscheidungsträgern) eingeleitet wird. Sie könnten also schon heute darauf aufmerksam machen, daß es Optionen, einzuhaltende Grenzen und Verantwortung für Konsequenzen auch seitens der Erwachsenen gibt, wenn es darum geht, zukunftsorientiert und nachhaltig im Sinne der Agenda 2172 zu handeln. So ist Verantwortungsübernahme heute auch immer generationsübergreifend im Hinblick auf ein morgen zu betrachten.
Mit Partizipation einhergehend könnte also bestenfalls eine Förderung der Engagementbereitschaft nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern – da es bei Partizipation ja immer um ein verantwortungsvolles Miteinander geht – auch für die Erwachsenen in der Gemeinde initiiert werden.
Ohne hier näher auf den Begriff des Kommunitarismus einzugehen, welcher kurz zusammengefaßt meint, „daß … für die Entstehung und Kontinuität der Gesellschaft … (ein) Horizont kollektiv geteilter Werte“73 vorauszusetzen wäre und welcher sich „mit der für soziale Gerechtigkeit maßgebenden Frage, wie Solidarität und … (der) Auseinandersetzung über Gemeinwohl im entsprechend zu gestaltenden öffentlichen Raum unter den Bürger/-innen“74 beschäftigt, so muß man im Zusammenhang von erhofften, neu formulierten gesellschaftlichen Bindekräften, doch folgendes herausstellen:
„Es geht darum, daß die Bürger eines Gemeinwesens durch die Entwicklung bzw. Förderung der entsprechenden persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen die Gestaltung des sozialen Lebens selbst in die Hand nehmen (können). Konstitutiv für die Bürgergesellschaft ist das – die soziale Selbstorganisation (im Sinne der subjektiven Fähigkeit, soziale Zusammenhänge herzustellen) schaffende und den Gemeinsinn (im Sinne staatlich und gesetzlich gestützter Empathie der Individuen und Gruppen untereinander bzw. füreinander) fördernde – Prinzip des bürgerschaftlichen Engagements. “75
Damit wird ein Verhältnis zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung beschrieben, welches Handlungsfelder, Handlungsmöglichkeiten und -ziele nicht von vornherein und von oben herab verordnet, sondern jeweils neu ver- und aushandelt. Dabei wird von der Fähigkeit und Bereitschaft der Bürger in einem Gemeinwesen ausgegangen, welche sich zusammengefaßt als bürgerschaftliche Kompetenz bezeichnen läßt. Also die Fähigkeit und Bereitschaft zur Kommunikation, zur Entwicklung einer Dialogkultur der Gegenseitigkeit und Konfliktfähigkeit. Gleichzeitig setzt dies die Überzeugung der Bürger voraus, an der Gestaltung des Gemeinwesens teilnehmen zu können.
Dies kann aber nur dort geschehen, wo die Rahmenbedingungen hierfür geschaffen werden, „und zwar im partizipatorischem Sinne der Erweiterung von Teilhaberechten der Bürger innerhalb der Planungs-, Entscheidungs- und Handlungsstrukturen einer Kommune.“76
Sennett ergänzt: „Der Ort wird von der Geographie definiert, die Gemeinde beschwört die sozialen und persönlichen Dimensionen des Ortes. Ein Ort wird zu einer Gemeinde, wenn Menschen das Pronomen „Wir“ zu gebrauchen beginnen. So zu sprechen setzt Bindung voraus, im Kleinen wie im Großen. Auch eine Nation kann zu einer Gemeinschaft werden, wenn ihre Bürger von allen akzeptierte Glaubenssätze und Werte in konkrete tägliche Praxis übersetzen.“77
Dies bedeutet allerdings nicht, daß diese Gemeinschaft grundsätzlich aus Übereinstimmungen zusammengehalten werden muß. Vielmehr können Gemeinschaften auch dadurch entstehen und zusammengehalten werden, wenn durch Kommunikation Differenzen ausgetragen werden, ehe man zu einer Einigung kommt. „Das ist eine Sicht des kommunalen „Wir“, die viel tiefer geht als das oberflächliche Teilen gemeinsamer Werte …. (Es) gibt … keine Gemeinschaft, solange die Differenzen in ihr nicht anerkannt sind.“78 Jedoch kann man durch Mitbestimmungsmodelle Formen der gemeinsamen Entscheidungsfindung nutzen, welche „einen Gemeinschaftssinn entwickeln, dessen Hauptelemente nicht die Konkurrenz, sondern der Respekt für andere und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit wären. “79
Das heißt zusammengenommen, daß eine Gemeinschaft als ein Prozeß zu verstehen ist, in dem im Laufe der Zeit die Unterschiedlichkeiten ihrer Mitglieder formativ verarbeitet werden.
Und somit kann man die Beteiligung von Kindern- und Jugendlichen auch als Chance zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft – unseres demokratischen Systems – begreifen.
„Demokratie arbeitet an der Selbstbestimmung der Menschheit, und erst wenn diese wirklich erreicht ist, ist jene wahr. Politische Beteiligung wird dann mit Selbstbestimmung identisch sein …. In dem Maße, in dem mündige Bürger unter Bedingungen einer politisch fungierenden Öffentlichkeit, durch einsichtige Delegation ihres Willens und durch wirksame Kontrolle seiner Ausführung, die Einrichtung ihres Lebens selber in die Hand nehmen, wird personale in rationale Autorität überführbar. … Politik hört in dem Maße auf, eine Sphäre für sich darzustellen, in dem gesellschaftliche Macht die Gestalt rationaler Autorität anzunehmen fähig ist.“80
Und rückblickend auf die gegen Ende des Kapitels über das Streben nach Selbstverwirklichung als Grundlage allen menschlichen Handelns aufgestellten Fragen – ob man demzufolge nicht eine, sich demokratisch nennende Gesellschaft nicht auch als einen lebenden Organismus begreifen kann, der sich zusammensetzt und zusammengehalten wird durch die ihm innewohnenden Individuen, die sich in ihm selbst verwirklichen können und der somit ebenfalls eine holistische, formative Aktualisierungstendenz in sich tragen muß – muß man an dieser Stelle eindeutig mit „Ja“ antworten.
- Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 1997, Seite 691 f ↩
- Eppe, zit. n. Schröder 1996, Seite 25; Siehe auch Kapitel 5.5 & 5.6 ↩
- Schröder 1996, Seite 25 ↩
- Vgl. Ulmann 1999 ↩
- Siehe dieses Kapitel ↩
- Schröder 1996, Seite 27; Siehe auch Frädrich / Jerger-Bachmann 1995 ↩
- Schröder 1996, Seite 27 ↩
- Schröder 1996, Seite 27 ↩
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2002 ↩
- Schröder 1996, Seite 27 f ↩
- Schröder 1995, Seite 15 ↩
- Schröder 1995, Seite 16 ↩
- Schröder 1996 ↩
- Schröder 1996, Seite 30 ↩
- Siehe auch dieses Kapitel ↩
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2002 ↩
- Schröder 1995, Seite 17; Vgl. auch Stange 1998 ↩
- Siehe dieses Kapitel!↩
- Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes Schleswig-Holstein & Deutsches Kinderhilfswerk 1997 ↩
- Frädrich / Jerger-Bachmann 1995 ↩
- Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes Schleswig-Holstein & Deutsches Kinderhilfswerk 1997, Seite 22 ↩
- Siehe dieses Kapitel. ↩
- Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes Schleswig-Holstein & Deutsches Kinderhilfswerk 1997, Seite 23 ↩
- Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes Schleswig-Holstein & Deutsches Kinderhilfswerk 1997, Seite 23 ↩
- Siehe dieses Kapitel. ↩
- Vgl. Frädrich / Jerger-Bachmann 1995, Schröder 1995 & Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998 ↩
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998, Seite 151 ↩
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998, Seite 151 ↩
- Schröder 1995 ↩
- Siehe Schröder 1995 & Frädrich / Jerger-Bachmann 1995 ↩
- Schröder 1995, Seite 87 ↩
- Schröder 1995, Seite 76 ↩
- Frädrich / Jerger-Bachmann 1995, Seite 105 ↩
- Hilpert 1996, Seite 17 f ↩
- Mussel, zit. n. Schröder 1996, Seite 33 ↩
- Schröder 1996, Seite 33; Schröder bezieht sich hier wieder auf Mussel. ↩
- Oerter, zit. n. Schröder 1996,Seite 34 ↩
- Bartscher 1998, Seite 478. ↩
- Siehe Schröder 1996, Seite 36 ↩
- Schröder 1996, Seite 37 ↩
- Siehe Schröder 1996; Hier untersucht Schröder ausführlich die Möglichkeiten und Vorteile des Modellbaus. ↩
- Schröder 1996, Seite 38 ↩
- Roth & Ardelt, zit. n. Schröder 1996, Seite 35 ↩
- Siehe dazu u. a. Baacke 1999 & 1994, Mansel 1995 & Rolff / Zimmermann 1997 ↩
- Oerter, zit. n. Schröder 1996, Seite 35 ↩
- Schröder 1996, Seite 39 ↩
- Bartscher 1998, Seite 60 ↩
- Bartscher 1998, Seite 60 ↩
- Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes Schleswig-Holstein & Deutsches Kinderhilfswerk 1997, Seite 25 ↩
- Rauschenbach, zit. n. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998, Seite 160 ↩
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998, Seite 144 ↩
- Eichholz, zit. n. Bartscher 1998, Seite 85 ↩
- Bartscher 1998, Seite 85 ↩
- Bartscher 1998, Seite 83 f ↩
- Siehe auch dieses Kapitel. ↩
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998, Seite 145 ↩
- Siehe ebenfalls dieses Kapitel. ↩
- Bundesministerium f ür Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998, Seite 145 f ↩
- Mansel 1995, Seite 276 ↩
- Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes Schleswig-Holstein & Deutsches Kinderhilfswerk 1997; Seite 28 ↩
- Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes Schleswig-Holstein & Deutsches Kinderhilfswerk1997; Seite 28 ↩
- Mansel 1995, Seite 275 ↩
- Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, zit. n. Schröder 1996, Seite 28 ↩
- Tiemann 1997, Seite 26 ↩
- Siehe u. a. Ferchhoff 1999, Mansel 1995, Tiemann 1997 & Deutsche Shell 2000 ↩
- Tiemann 1997, Seite 26 ↩
- Siehe u. a. Ferchhoff 1999, Mansel 1995, Tiemann 1997 & Deutsche Shell 2000 ↩
- Schröder 1996, Seite 28 ↩
- Schnibben, zit. n. Tiemann 1997, Seite 28 ↩
- Ferchhoff 1999, Seite 243 f ↩
- Ferchhoff 1999 ↩
- Landeshauptstadt Hannover ↩
- Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 1997, Seite 566 ↩
- Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 1997, Seite 567 ↩
- Hilpert 1996, Seite 34 ↩
- Hilpert 1996, Seite 35 ↩
- Sennett 2000, Seite 189 ↩
- Sennett 2000, Seite 197 f ↩
- Rogers 1981, Seite 171 ↩
- Habermas, zit. n. Hilpert 1996, Seite 24 ↩